Samstag, 18. August 2012

Langer herbstlicher Runout zur Brücke

Heute ist der Tag der Entscheidung. Ich muss an einer Abzweigung vorbeifahren oder sie nehmen. Eigentlich schon die ganze Tour ist die Rede davon, schon Iker auf der BAM meinte, man muss unbedingt die OSR fahren. Auch die Engländer, die ich auf dem Lena-Highway treffe meinen, die Strasse wäre gut. Andererseits ist sie bei vielen Einheimischen gar nicht mehr bekannt. Das Beispiel von Adrian hat wieder eher dazu geführt, die Strecke kritischer zu sehen. Auch die Norweger meinen, dass sie alleine nicht ratsam zu machen ist. Für mich ist nun das Hauptentscheidungskriterium das Wetter. Nachdem ich die letzten Tage immer wieder gefragt habe, wie der Wetterbericht für die nächsten Tag sei und meist eher negative Antworten bekam, ist die Tendenz recht klar. Auch im Internet habe ich seit zwei Wochen keine Sonne in Tomtor gesehen. Ich will die Strecke zwar gerne fahren, aber was bringt es mir, wenn ich im Regen bei verhangenem Wetter durchfahre. Da werde ich nur trübselig und habe Schwierigkeiten bei den vielen Furten.
Am Morgen wache ich bei leichtem Regen auf und bleibe erst noch liegen. Erst ein Blick nach draussen zeigt mir, dass es nicht so trüb ist und sogar einige Flecken blauer Himmel zu sehen sind. Zum Frühstück gibt es ein wenig Brot mit Erdbeermarmelade, dann verabschiede ich mich von den Geophysikern. Die Entscheidung über die Weiterfahrt ist nun zwar schon eigentlich gefallen, bei der hohen Wahrscheinlichkeit von trübem Wetter nehme ich lieber die Strecke über Ust-Nera, die OSR kommt für mich nur bei Sonne in Frage. Gleich steht ein weiteres Highlight der Kolymatrasse an, die Brücke bei Kyubeme, oder das was noch von ihr übrig ist. Sie ist wohl schon eine Weile eine Ruine, wie so manche Brücke an der BAM. Das Besondere an ihr ist, dass sie ganz aus Holz gebaut ist und in wunderschöner Landschaft steht. Dadurch, dass die Brücke nicht mehr befahrbar ist, kann es sein, dass Tomtor und Omjakon abgeschnitten sind, wenn der Fluss Kyubeme einmal wieder Hochwasser führt. An der Tankstelle Kyubeme hat es zwar einen LKW, aber der schafft auch nicht jeden Wasserstand. So ist der Wasserstand hier ein wichtiges Thema. Das Dorf Kyubeme selber ist eine Wüstung jenseits der Furt. Es wundert mich unterwegs sehr, wieviel Aufwand beim Trassenbau für die Federalnaya Trassa betrieben wird und dass im Gegensatz dazu keine Brücke hier über den Kyubeme gebaut wird.
Kurz hinter dem Geophysiker-Camp
auf guter Strasse geht es weiter
Tümpel am Wegesran
gute russische Strasse
einzeln stehende Bäume
saftiges Gras
Mein Cockpit
Tomtorabzweig
Brücke von Kyubeme
nur noch das Mittelstück steht noch
Blick vom Damm, Niedrigwasser
zwei Fischer sind da
Die Brücke bei Kyubeme ist in der Tat den kurzen Abstecher wert, an der Brücke campen ein paar Fischer und auch Strassenarbeiter. Der Fluss hat erstaunlich wenig Wasser, ich könnte wohl ohne die Taschen abzunehmen durchschieben. Dennoch entscheide ich mich für Ust-Nera. Nach dem obligatorischen Photo-Shooting geht es ins Café. Das wäre doch von 9 bis 22 Uhr offen, d.h. ich hätte gestern Abend doch hierher fahren können. Mal schauen ob sie in der Früh schon soweit sind und mir was auftischen können. Etwas enttäuscht muss ich feststellen, dass es hier zugeht wie bei anderen Cafés, es muss nur der Gefrierschrank geöffnet werden und das Gericht in die Mikrowelle gestellt werden. Das Café hier ist dennoch ein Pflichtbesuch, es ist hier auf über 400 km die einzige Versorgungsmöglichkeit. Entsprechend klein ist es, es hat kaum 3 Tische. Über der Durchreiche zur Küche haben sich zahlreiche Reisende mit ihren Aufklebern verewigt. Eine andere Sitte hier ist, die Landeswährung mit einer Widmung versehen anzukleben, Anfang August war Louis und seine Freundin aus der Schweiz mit dem Auto hier. Das Essen selbst ist mässig, dafür aber teuer. Nach mir kommen gleich 2 Kleinbusse an und wollen auch versorgt werden. Mit dem Fahrer des einen Busses unterhalte ich mich, entgegen der Vermutung ist er kein Taxifahrer sondern mit seiner Familie unterwegs und auf dem Weg zurück nach Ust-Nera. Nach der Stärkung fahre ich weiter, der Herbst hat hier schon richtig zugeschlagen und die Landschaft in schöne Farben getaucht, insbesondere das Bodengestrüpp ist schon recht rot geworden. Mit Hilfe der Sonne, die sich ab und zu zeigt, kommt richtig euphorische Stimmung auf. An der nächsten Brücke mache ich schon aus der Entfernung etwas aus, was sich als Motorradfahrer entpuppt. Es sind zwei Polen, wahrscheinlich diejenigen, die im Bauarbeiterdorf vor einer Woche übernachtet haben. Sie sind den ganzen Weg hierher nach Magadan gefahren und fahren nun erst einmal die gleiche Strecke zurück, fliegen oder verschiffen dürfte ihnen zu teuer sein, nachdem sie in Magadan selbst bei einer Kirche Unterschlupf fanden. Wahrscheinlich nehmen sie ab Tynda oder der Transsibstrecke den Bahnverlad, der auch mit Motorrad gut machbar sein soll. Bei der Herfahrt sind sie auch über den Altai und die Mongolei gefahren und weiter die übliche Strecke über Ulan Ude und die Fernstrassen. Bei der Fahrt nach Magadan sind sie auf der Hauptstrasse geblieben, weil der Kyubeme recht hoch war. Insgesamt klagen sie sehr über den dauernden Regen hier, in der Früh hatten sie von Ust-Nera her wohl ziemlich starken Dauerregen. Die Regenmontur ziehen sie jetzt erst bei unserem Treffen aus und wundern sich, dass ich hier nur leichten Regen hatte. Wie Magadan auch, war Ust-Nera ihnen von der Unterkunft her zu teuer - in Motorradkreisen ist das Hotel dort vom Preis her berüchtigt, aber auch Andrej, mein Zimmernachbar im Bauarbeitercamp klagte über den Preis. In Ust-Nera hatten sie einfach bei einem Regierungsgebäude den Wächter gefragt, ob sie das Zelt aufschlagen können, was dann problemlos ging. Hinter Ust-Nera solle ich mit den vielen illegalen Goldsuchern aufpassen, welche keinen netten Eindruck machten, und ihre Hunde auch nicht. Nach ein bisschen Diskussion gesellt sich noch der Fahrer des einen Kleinbusses zu, der Jurist in Ust-Nera ist. Er scheint unser Englisch leidlich zu verstehen, wenngleich er es nicht wirklich sprach. Für die Weiterfahrt bekomme ich wenig erbauliche Infos zum Wetter, die Polen sind sich sicher, dass ich in 100 km auch ins Starkregengebiet komme. Ihre Motorräder sind schon recht stark in Mitleidenschaft gezogen worden, weshalb für sie die BAM keine Option mehr ist.
Wir verabschieden uns und schon an der nächsten Brücke muss ich wieder halten, Wassili und Stepan stehen dort mit ihrem Uazik. Das Publikum hier ist übersichtlich und man trifft sich immer wieder. Sie fragen mich, ob ich in der Früh auch so einen Starkregen hatte, sie hatten hier keine 20 Kilometer vom Geophysikercamp übernachtet. Da scheine ich ja Glück gehabt zu haben. Ich wundere mich, dass sie noch nicht in Omjakon sind, sie meinen aber, dass sie sich Zeit lassen können, weil die Raupe erst noch startklar gemacht werden muss.
Kurz vor der Tankstelle
berühmte Tankstelle und berühmtes Café
Im Café
Vor dem Café
Es geht weiter nach Ust-Nera
dazu muss man nach Norden
Rückblick Kyubeme
zwei Polen auf Magadanfahrt
Die Herbstfärbung zündet so langsam
bekannter Uazik
Mit Stepan und Wassili an Bord
Herbst I
Herbst II
Herbst III
Herbst IV
Ust-Nera ist allerdings ein Umweg
bei der Landschaft ist das zu verschmerzen
ich hoffe nur auf regenfreie Zeit
Ist das die Weite Sibiriens?
zumindest eine schöner Weite als im Westsibirischen Tiefland
zwischen Tjoply Kljutsch und Ust-Nera hat es nicht viel Infrastruktur
weiter immer weiter
noch mal kurzes Aufklaren
schnurgerade, wie in Amerikas Westen
leichte Kurve
Nach dem nächsten Pass wartet der nächste Regenguss
aber auch eine gute Brotzeit
Nach so vielen Begegnungen und Besuchsprogramm, habe ich noch nicht viele Kilometer gemacht, nun steht erst einmal der nächste Pass an. Die Farben sein weiter super, die Polen meinten auch, dass sie jetzt auf der Rückfahrt noch deutlich mehr Photos gemacht haben, vor einer Woche sah es wohl noch anders aus. Auf der Abfahrt vom Pass komme ich dann wieder in den Regen und überlege mir Unterschlupf zu suchen. Mangels letzterem fahre ich doch weiter und steuere an einer Brücke auf einen Parkplatz zu, um Mittag zu essen. Dort steht schon ein Jeep aus Ust-Nera. Ich komme mit den Leuten ins Gespräch und werde noch zu einer oppulenten Brotzeit eingeladen, zum Tee gibt es Fleischpflanzl, Gurken, Hänchen etc, sehr lecker das Ganze. Sie wollen noch nach Jakutsk weiter, wahrscheinlich schaffen sie es heute bis zur Aldanfähre. Als ich mich verabschiede ist es 15 Uhr und ich habe gerade Mal 60 Kilometer gemacht. Die Jeepfahrer vom Mittagessen haben mir noch einen Übbernachtungstipp gegeben, in ca. 60 Kilometern soll ein Dorf kommen, welches auf keiner Landkarte verzeichnet ist. Dort sollte ich übernachten können. Die 60 km sollte ich heute noch gut schaffen, im GPS sehe ich zudem eine kleine Stichstrasse, die ich mit dem Dorf in Verbindung bringe. Hinter der Brücke steht zu meiner Überraschung noch ein massiveres Haus, dessen Funktion mir aber nicht bekannt ist. Es ist wohl aufgegeben, da Türe und Fenster fehlen. Es folgt leider ein ziemlich grosses Waldbrandgebiet zum nächsten Pass. Es ist vom letzten Sommer. Hinter dem Pass schliesst ein ziemlich langes Tal an. Nachdem ich es zum Hauptfluss hin durchfahren habe und wieder in östlicher Richtung unterwegs bin, mache ich eine Rast um noch durch ein vorgezogenes Abendessen die Kräfte zu mobilisieren. Es hält währenddessen ein Uazik, dessen Fahrer mir erzählt, dass er hier so ein Aufseher für Umweltangelegenheiten ist. Sie meinen allerdings auch, dass ich im angegebenen Dorf nicht übernachten könne, aber in 30 Kilometern käme eine Brücke, welche ein guter Übernachtungsplatz wäre. Ich fahre aber erst einmal zum Dorf, welches sich als Mine entpuppt. Es hat einen Schlagbaum. Gerade als ich auf diesen zufahren will, kommt der Uazik wieder. Sie meinen nun, ich solle es einfach versuchen und nett mit der Dame sein, ansonsten hätte es in 30 km eine Brücke (wieso ist die immer noch 30 km weg, ich bin doch seit dem letzten Treffen 20 km gefahren). Wie dem auch sei, ich versuche mich am Schlagbaum, da sitzt eine Wächterin, die von mir wissen will, was ich hier will. Es wird ziemlich schnell klar, dass sie mich hier nicht rein lassen will. Die Wachhündin schlägt mir vor, dass ich die Nacht besser in Ust-Nera verbringe, da wäre ein Hotel. Witzbold, das sind noch 150 km. Genauso unkomisch geht es weiter, ich solle mich davon machen und ja nicht in der Nähe übernachten, das sei alles eine geschlossene Zone hier und es verboten darauf zu zelten.
Damit muss ich wohl oder übel noch zur 30 km entfernten Brücke, falls die Entfernung stimmt.  Denn gerade als ich mich aufmachen will, hält ein weiterer Uazik. Der Fahrer ist von Jakutsk nach Ust-Nera unterwegs und hat zwei Anhalter aus Moskau mitgenommen. Diese wollen bis Magadan und haben schon Angst ob sie von Ust-Nera rechtzeitig nach Magadan kommen. Da muss ich schmunzeln, ebenso wie der Fahrer. Ihr Flug geht am 29.8., da ist massig Zeit um nach Magadan zu kommen, ich vermute eher, dass sie in 2 Tagen dort sind. Der Fahrer des Uaziks gibt mir nochmal Indikationen zur Brücke, er glaubt sie sei 35 bis 40 km weg. Es ist schon nach 20 Uhr, so dass es wohl Nacht wird, bis ich da bin. Nach einem Mars trete ich nochmal ordentlich in die Pedale und bin froh, dass die Entfernungsangaben doch alle nur sehr grob sind, nach 20 km bin ich da. Die Brücke scheint ein beliebter Ort zu sein, am Ufer stehen Autos und im Fluss ist gerade ein Motorboot unterwegs. Hinter der Brücke befindet sich eine Einfahrt zu einem grossen Parkplatz. Der entpuppt sich als Posten der Brückenbaugesellschaft, bei denen ich schon vor 2 Tagen übernachtet hatte. Er ist wohl beim Bau der Brücke über den Fluss Elge hier entstanden und wird jetzt vor allem noch als Fahrzeug und Materiallager genutzt. Die Insassen des Uaziks von vorher sitzen im Hof zusammen und winken mich zu ihnen. Es sind Sergej (Serjoscha), der Verwalter des Depots hier, Alex, ein Geschäftsmann aus Jakutsk, Andrew, ein Polizeihauptmann aus Ust-Nera und Vitali, der Umweltaufseher von vorhin. Serjoscha ist hier gut versorgt und sorgt entsprechen für eine gute Bewirtung. So wird ein gefrorener weisser Fisch geholt, eine Spezialität der Gegend. Er wird in feine Scheiben geschnitten und mit ein wenig Pfeffer im gefrorenen Zustand gegessen. Zudem hat jemand exzellente Smetana mitgebracht. Die erinnert mich an die bisher beste Smetana, welche ich in Kirgistan im Tal des Inylchek-Gletschers gegessen habe. Es ist auch eine hausgemachte Smetana (domaschnaja). Leider wird das Glas alsbald von Andrew runtergeschmissen. Es ist eine lustige Runde hier. Die Männer sind hier auf einem Wochenendausflug, zum die Landschaft anschauen, jagen und fischen. Während wir uns noch unterhalten verschwindet Vitali mit einem Kollegen. Und wenig später hören wir Schüsse knallen, es geht in der Dunkelheit, die Dämmerung ist schon vorbei, auf Vogeljagd. Nachdem weder sie, noch andere Jäger, die im Anschluss noch vorbeischauen, erfolgreich sind. Spendiert Serjoscha im Anschluss noch einen gestern zubereiteten Vogel, der recht schmackhaft ist. So werde ich am Abend doch noch satt, ohne kochen zu müssen. Wann habe ich zum letzten Mal eigentlich den Hobo angeschmissen? Das war wohl an der BAM. Es ist schon erstaunlich wie gut versorgt man hier im Niemandsland ist, dabei lege ich es ehrlich gesagt nicht darauf an und versuche mich auch nicht den Leuten aufzudrängen, andererseits lehne ich ernst gemeinte Einladungen auch nicht ab. Zwischen Sascha (Alex) und Andrew entspannt sich noch den ganzen Abend über ein Streitgespräch. Es geht auch darum, dass früher zu kommunistischen Zeiten es den Leuten besser ging. So sieht es der Polizist, dem widerspricht der Geschäftsmann und auch nach 2 Stunden hat Andrew es immer noch nicht eingesehen, obwohl Sascha längst alle anderen hinter seine Argumentation zu versammeln weiss. Es ist klar, dass es den Staatsbeamten früher besser ging, insbesondere in den abgelegenen Regionen hier und sie eher ein Verlierer der Entwicklung sind.
Die Nacht darf ich in einem der Wohncontainer verbringen und habe wieder ein Bett. Bis zum Kilometer 990 ging es heute, obwohl ich bis zum Mittagessen nur langsam vorwärts kam.
Macht auch Pause, ein Tank-LKW
Fluss Brungjade
ebenfalls mit Niedrigwasser
Waldbrandfläche vom vergangenen Jahr
nächster kleiner Passanstieg
schöner ohne Waldbarnd
so viel Platz brauch ich doch gar nicht
guter Belag
Tümpel am Wegesrand II
weite Fläche
rarer Gegenverkehr
wieder Wetterbesserung, nach mittäglichem Schauer
sibirische Autobahn I
sibirische Autobahn II
abgestorbener Wald im Hintergrund
einsame Strecke
zwischen Ust Nera und Kyubeme ist wohl die minimale Verkehrsdichte auf der M 56
Hinter den Bergen liegt mein eigentliches Ziel, angeblich ein Dorf
letzter Anstieg
leider muss ich doch weiter fahren
so geht es in den Abend
es ist zwar schon noch lange hell
aber der August ist schon bemerkbar, wir sind immerhin
schon 2 Monate nach der Sonnwende, hier am Zielpunkt, Brücke über den Elge

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